
Zugegeben – ich bin kein Freund von Nightwish, Within Temptation & Co. Female-Fronted-Metal nennt sich das, oder Opera Metal. Molllust bringt den Begriff ins Spiel. Die Leipziger machen das nicht ohne Grund. In ihren Reihen befinden sich waschechte Orchestermusiker-innen, allen voran Sängerin und Komponistin Janika Groß. Ihre Lust auf Molltöne, Klassik und Metal wuschen die Musiker in „Schuld“.
Ihr Debütalbum ist in seiner äußeren Form eckig, schwarz und schlicht. Das Bild zeigt Janika Groß in einem Kleid, ihre langen Haare berühren fast den Boden. Beinahe macht sie den Eindruck, sie sackt zusammen und stemmt sich mit letzter Kraft wider der Schwerkraft, um ihr Haupt zu heben und sagen zu wollen: „Wir haben unsere ganze Energie in diesen knapp 50-minütigen 11-Pfünder gesteckt, nur um zu zeigen, dass Klassik und Heavy Metal eine wunderbare Fusion eingehen können, ohne dass der Kitsch aus den Boxen triefen muss.“ Das von Andy Schmidt produzierte Werk ist in der Tat anders als die poppigeren Alben der größeren und erfolgreicheren Schwestern von Molllust. Janika Groß komponierte „Schuld“ nahezu im Alleingang, ließ ihre klassische Ausbildung und ihre Vorliebe für romantische und spätromantische Klassik einfließen. Heavy Metal ist so etwas wie die Naht, das Gerüst und das Fleisch bilden die klassischen Instrumente aus Piano, Cello, Violine und Gesang.

Deswegen folgen die Lieder auf „Schuld“ keinem Rock’n’Roll-Schema wie er allerorten zusammen gezimmert wird. Bridge, Refrain und so – Fehlanzeige. Stattdessen folgt der Hörer einer wundersamen Reise, die fast schon wie ein Soundtrack klingt und mich stellenweise auch an die Sprache erinnert, die die tschechische Black-Metal-Band Master’s Hammer 1992 auf ihrem göttlichen Meisterwerk „The Jilmenice Occultist“ in bombastischen Tönen wisperte, schrie und kreischte. Klassische Songaufbauten, Gänsehaut verursachende Momente und hitverdächtige Ohrwürmer wie „Alptraum“ und „Sternennacht“ hört man auf „Schuld“. Verspielt und tänzelnd sind Songs wie „Schatten“ und „Kartenhaus“ fast wie ein „Puppentanz“ am „Spiegelsee“. Die Lieder erscheinen beim ersten Hören unvorhersehbar und könnten den Musikfreund ab und zu überfordern. Beim zweiten, dritten und vierten Hören bauen sich die Bilder vor dem inneren Auge auf, die uns Molllust vermitteln will: Verzweiflung, Ängste, Hoffnung und Mut.
„Schuld“ ist aber keine musikalische Zerreißprobe, sondern ein interessanter und mutiger Ansatz, den Klassik-Rock-Fusionist und Deep-Purple-Organist Jon Lord begrüßen würde. Leider verstarb der gute Mann, ohne nur ein Ohr auf „Schuld“ gerichtet zu haben. Aber Leute, die links und rechts der breit getretenen Theatermetal-Sparte schauen wollen, finden in Molllust ein anspruchsvolles Projekt, das wirklich Lust auf Moll macht – ganz ohne Winterblues. Das ist eine „Schuld“, die ich gern auf mich nehme. Dass die Leipziger beim Bachfest 2013 auftreten und vorher noch ihre Bach-CD veröffentlichen, muss ich auch noch erwähnen.